Entwicklertagebuch - Reiter von Rohan - Ostrohan

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Endlich sind wir angekommen. Wir haben unterwegs zwar ein paar Umwege gemacht (Hallo, Dunland!), aber jetzt sind wir wieder auf den Spuren der Ringgemeinschaft. Wir können nun unsere Rundreise zu all den Orten, an denen Frodo und die Ringgemeinschaft in „Die Gemeinschaft des Rings“ anzutreffen waren, abschließen, um weiter in „Die zwei Türme“ vorzudringen. Genug der Vorrede. Schluss mit falscher Scham.

Die Riddermark! Rohan! Endlich!

Unser Ziel mit dem Aufgabenbündel„Der Große Fluss“ im Frühjahr war es, den Spielern einen Vorgeschmack auf die Eorlingas zu bieten und außerdem die Entwicklung entlang des Anduin bis an die Grenze der Mark voranzutreiben. Während die verantwortlichen Teams für Spielwelt und Inhalte diese Region mit Leben füllten, war es meine Aufgabe, jenseits des Rampenlichts an dem zu arbeiten, was einmal die größte Landschaftsentwicklung des ganzen HdRO-Projekts seit der ursprünglichen Konstruktion von Eriador für den Onlinestart des Spiels werden sollte.

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Die Sache ist die: Rohan ist riesig! Es war einfach nicht zu umgehen - man kann nicht knausern, wenn weite, wogende Graslande zu entwickeln sind. Um dem gerecht zu werden und um im Maßstab der übrigen Spielwelt zu bleiben, musste die Mark etwa sechs Mal größer werden, als unsere üblichen Erweiterungen der Landschaft bisher waren ... Und das berücksichtigt noch nicht einmal die kleinen, nervigen Details wie dem ausgeflippten Fangorn-Wald.

Meine erste Aufgabe war, eine Karte des Königreiches in die Hand zu nehmen, und den Mächtigen zu zeigen, dass es keine denkbare Möglichkeit gab, ganz Rohan in einem Durchgang zu gestalten. Es ist einfach zu groß, um der Sache gerecht zu werden. Die naheliegendste Lösung des Problems war, es einfach zu halbieren, entlang der offensichtlichsten geographischen Grenze, dem Entwasser-Fluss, der Ost-Emnet von West-Emnet trennt. Wir würden zuerst mit dem östlichen Teil beginnen, denn er schließt sich an die Region des Großen Flusses an, und es ist dort, wo die Ringemeinschaft zuerst mit Rohan in Berührung kommt.

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Das kam uns sehr entgegen, denn es half uns, uns auf die Entwicklung der Kultur Rohans zu konzentrieren, ohne uns von den größeren Episoden der Geschichte, wie etwa Helms Klamm, ablenken zu lassen, auf die wir unser Augenmerk in einer nächsten Aktualisierung legen werden. Außerdem ist Ost-Emnet genau das, was der durchschnittliche Tolkien-Leser unter dem „klassischen Rohan“ versteht: Der Ort, an dem man die weiten Graslande findet, wo Kleinbauern ihre Pferdeherden hüten und die Éoreds der Krieger zur Verfolgung der Uruk-hai über die weiten Ebenen galoppieren, im Gegensatz zu den verborgenen Festen am bewaldeten Fuß des Weißen Gebirges, die man im Westen findet. Es war auch thematisch eine gute Entscheidung, denn Rohan zu teilen gab uns die Möglichkeit, zwei verschiedene Erlebnisse in der Mark zu gestalten. Im Augenblick beschäftigen wir uns immer noch mit der Zeit, in der Gríma Schlangenzunge weiter König Théoden beherrscht, der Sohn des Königs gestorben ist, Orks durch die Gaue schweifen und die angeschlagenen Rohirrim das Ganze kaum noch zusammenhalten können. Die ruhmreiche, heldenhafte Wiederbelebung des Königreichs kann warten, denn wir schwelgen derzeit in der Verzweiflung.

Schauen wir uns also Ost-Emnet an. Es ist riesig, aber es ist nicht zu unübersichtlich für die Planung. Wir fügen den Ostwall hinzu, der auch unter dem Namen Emyn Muil bekannt ist, und auf der Westseite Nen Hithoels liegt, wo sich der Argonath, Amon Hen, Rauros, der Tindrock und all die anderen guten Dinge befinden; wir fügen den Rand des Fangorn hinzu, und wir sprechen über einen Umfang von dreimal so groß wie die Region des Großen Flusses. Der erste Schritt, um das Ganze für das Design-Team handhabbar zu machen, war die Aufteilung des Königreichs in kleinere Provinzen, um uns einerseits übersichtlichere Gegenden für die Entwicklung zu ermöglichen und andererseits die Innenpolitik Rohans besser darstellen zu können. Diese ist, letztendlich, eine etwas locker gefügte Feudalgesellschaft, in der die Adligen verantwortungsvoll selbst regieren, aber an den König gebunden sind und ihm zu Hilfe kommen müssen, wenn dieser zum Waffengang ruft. Jede Provinz oder jedes Lehen(im Englischen „Riding“, um einen älteren Begriff aus dem Repertoire der Übersetzungen Tolkienscher Texte zu benutzen, der im Englischen ein Wortspiel bildet, das im Deutschen so nicht wiederzugeben ist), hat eine eigene „Persönlichkeit“, ihren eigenen Herrn (und niedere Herrschaften, die ihm zu Diensten sind) und natürlich auch ihre eigenen Probleme. Die Steppe Rohans (die Hochlande aus Büschelgras und Mooren im Norden) wurden ein Lehen, während ich aus dem oberen Entwasser-Tal ein anderes werden ließ, ungefähr in der Gegend, in der Aragorn auf Éomer traf.

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Der übrige Teil Ost-Emnets, die sagenhaften Ozeane wogenden Gras-, fruchtbaren Weide- und Ackerlands, wurden zweigeteilt, in die Regionen von Norhofen und Suthofen. Ich teilte jedem Lehen einen Herrn zu, indem ich für einige von ihnen beiläufig erwähnte Charaktere aus den Büchern fischte und für die Regierung der übrigen neue Charaktere ersann und ihnen eigene Persönlichkeiten und Familien gab (und Wappensymbole - denn wenn Stadt für Stadt nur das weiße Pferd auf grünem Grund auf den Bannern zeigte, dann wäre das für die Rohirrim genauso verwirrend wie für die Spieler). Ich entwarf auch Ideen für die übrigen Lande, jenseits des Flusses, so dass es nun ein vollständiges Konzept gibt, wie das Königreich zusammengesetzt ist. Ich wüsste schon etwas über die Unterschiede der Lehen der Breitacker und Steinhausens in West-Emnet zu erzählen, aber seid nur geduldig. Mit der Zeit werdet Ihr schon dorthin gelangen.

„Warte, warte!“, werden einige von Euch sicher sagen. „Sagte Tolkien nicht, dass niemand in Ost-Emnet lebte, außer wanderndem Herdenvolk?“ Nun... ja! Aber wir sehen wirklich nur einen schmalen, wilden Streifen davon , während wir den Drei Jägern (und Merry und Pippin) vom Ostwall zum Fangorn-Wald folgen. Und seht, die Rohirrim waren keine Narren. Sie hätten sicher einige Festungen gebaut, um diese riesigen Landstriche wertvoller Ländereien (und ihre Einwohner) vor umherstreifenden Orks, Wargs und ähnlichem zu schützen. Auch wenn es also keine Städte vom Ausmaß Édoras' oder Aldburgs auf dieser Seite des Entwasser-Flusses gibt, so sind da doch einige kleinere Ortschaften und Dörfer, sowie einige kleinere Festen und Außenposten. Einige von ihnen sind bereits durch die Feinde der Mark übel zugerichtet, ja sogar dem Erdboden gleich gemacht worden, und es gibt sicher auch nicht genug Reiter, um einen Generalangriff zurückzuschlagen, besonders, da Éomer befohlen hat, dass jedermann im Westen Zuflucht suchen solle.

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Hurra! Rohan ist also fertig entworfen. Es ist nun an der Zeit, einen Haufen Flachland herzustellen und ihn mit Gras zu überziehen.

Einen Moment! Es stellt sich tatsächlich heraus, geographisch betrachtet, dass Rohan weit mehr und komplizierter ist, als Ihr vielleicht denkt. Ich meine, stellt Euch zu Beginn nur einmal vor, wie es an den Fluss Anduin anschließt. Hier haben wir einen (zum großen Teil) schiffbaren Fluss, der an der Steppe entlang verläuft, aber sich danach durch hügeliges Gelände winden muss, das dann steil in die Ebenen abfällt (die viel flacher geneigt sind), und schließlich in einen See mündet und einen extrem hohen Wasserfall, der ins viel weiter unten liegende Marschland fällt. Man kann lächeln und zustimmend nicken, wenn man den Entwurf auf Papier sieht ... Aber wie kann das funktionieren? Es brauchte eine Weile, um nur eben die Vorstellung dieser Extreme so nah an dem sanften Grasland zu entwickeln. Und dann, um die Sache nun richtig kompliziert zu machen, wird Rohan nicht nur von einem, sondern von zwei großen Gebirgen gerahmt (die wir bereits zum Teil für andere Teile des Spiels konstruiert hatten), von denen jedes Flüsse aufweist, die aus ihm herauskommen und so zusammenfließen, dass daraus der Entwasser-Fluss entsteht - und hier sind dann die Hügel des Ostwalls, und aaaaah, ich bekomme jetzt Kopfschmerzen und muss mich ein wenig hinlegen und ausruhen ...

Es brauchte eine geraume Weile und viel Feinarbeit an unserer Software für die Landschaftserstellung (und, zugegeben, auch einige Flüche), um die Konturen der Mark herauszuarbeiten, damit alles so zusammenpasste, wie es Tolkien mehr oder weniger genau beschrieben hatte - aber nun haben wir es, so glaube ich, geschafft. (Ich habe die gesamte Mark in ihren Grundzügen entworfen, weil eines zum anderen passen und sich nahtlos anschließen muss, wenn man später keine bösen Überraschungen erleben will, außerdem soll man ja etwas jenseits des Entwasser-Flusses sehen können). Ihr könnt von einem Ende Ost-Emnets zum anderen reiten, in jede Richtung, ohne befürchten zu müssen, plötzlich und unerwartet mitsamt Eurem Kriegsross von einer steilen Klippe zu fallen. Ihr könnt auch dem Großen Fluss bis nach Amon Hen folgen, den Ausblick vom Sitz des Sehens genießen, der so majestätisch und erhaben ist, wie Ihr ihn Euch vorgestellt habt, und dann dem Weg Merrys und Pippins die Klippen des Ostwalls hinunter nachgehen, bis Ihr auf die Ebenen kommt.

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Das ist wirklich der Job, für den sie mich bezahlen! Ich würde gern in meine Schulzeit zurückreisen, um das meinem Berufsberater erzählen ...

Die nächste Herausforderung bei der Entwicklung Ostrohans verfolgte mich bereits eine geraume Weile: Können wir wirklich eine solch enorme, zumeist baumlose Ebene erstellen, ohne dass sie mit der Zeit visuell einfach langweilig wird? In der Vergangenheit versuchten wir viele verschiedene Lebensräume auf kleinem Raum unterzubringen (seht Euch nur die Gegend des Großen Flusses und das Dunland an), aber die Fakten, die wir über Rohan kennen, beschränken unsere Palette ein wenig. Wir mussten also mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung standen, wesentlich kreativer umgehen, um das „Grasland“ aus verschiedenen Perspektiven zu interpretieren. Jedes Lehen erhielt seine eigene „Persönlichkeit“, und wir ließen uns dabei von unserer wirklichen Welt inspirieren. Die Steppe wurde zu einer Art Prairie, überall in goldenen und rostbraunen Farbtönen gehalten, hinunter zu den verblassenden gelb-grünen Weiden Norhofens , danach immer dunkler, reicher und feuchter werdend, während das Gelände leicht geneigt immer weiter abfällt, bis hinein in die fruchtbaren sumpfigen Lande Suthofens. Das Entwasser-Tal stattdessen ist eine grau-grüne Niederung mit weidenbewachsenen Marschen entlang des Flussufers, genau wie Tolkien es in seinen Büchern beschrieben hat. Bäume sind überall rar, ausgenommen einige wenige Flecken. Bröckelnde Felsen und Wiesen voller Wildblumen lockern den größten Teil der Mark auf, nicht der Wälder - der Fangorn ist hiervon natürlich ausgenommen.

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Die Besonderheiten jeden Lehens halfen uns denn auch, zu entscheiden und zu beschreiben, welche Reiter dort leben. Die Männer der Steppe, die auf dem kargen Ende der Mark ihr Heim haben, sind beispielsweise raue, manchmal ungehobelte und selbstgenügsame Zeitgenossen. Die Suthofener, die in einer Gegend leben, die man als den Brotkorb des Königreichs bezeichnen könnte, sind kultivierter und weniger kriegerisch (im Vergleich zu anderen Rohirrim jedenfalls) - sie sind zivilisiert, aber selbstgefällig. Sie bauten ihr Hauptdorf „Schneegrenze“ sogar inmitten der Ruinen einer alten númenóreischen Festung - dies war schließlich einst die Provinz Calenardhon und Spuren Gondors sind bis heute zu sehen.

In der Zwischenzeit hatten wir mit einem Aspekt der Entwicklung Rohans zu tun, der bisher nie auftauchte, aber in der Natur Rohans selbst begründet ist: Dies ist ein unermessliches, funktionierendes Königreich mit eigener Kultur, im Gegensatz zu anderen Teilen Eriadors, wo sich zerfallende Reste bereits vergangener Zivilisation finden, oder eine Bande kriegerischer Stämme wie in Dunland. Tolkien beschreibt einige dieser Aspekte sehr lebensecht in seinen Büchern, aber es gibt auch sehr vieles, das er nicht abdeckt. Beinahe jeder Mann, dem wir in den Büchern begegnen, ist ein Herr oder ein Krieger, und die einzige Frau, der wir begegnen, ist eine Prinzessin. Aber wie lebt das gemeine Volk? Was tun sie, um sich zu amüsieren? Was essen die Rohirrim? Welche Gesetze haben sie und wie bestrafen sie Verbrecher? Welche Wappensymbolik benutzen sie, abgesehen von Pferd und Sonne, die wir aus den Büchern kennen? Wie sieht ihre Kunst aus und wie hört sich ihre Musik an? Wie erzählen sie ihre Geschichten, wenn sich die Schriftsprache auf einige wenige Runenzeichen beschränkt? Wie unterscheidet sich ihre Sprache von der anderer Kulturen? Wie sieht das tägliche Leben der Frauen und Kinder aus? Im Laufe einiger Wochen suchte ich alles, was mit dem rohirrischen Leben zu tun hat und stellte einen, mit Verlaub, alarmierend großen (und ständig wachsenden) Leitfaden alles Rohirrischen zusammen, gespeist durch die Kulturen, die Tolkien inspirierten - die Angelsachsen und die Goten. Es ist ein ziemliches Monster geworden und nur wenig davon wird jemals an der Oberfläche des Spiels sichtbar werden, aber jeder unserer Designer kann es als Grundlage für die Inhalte benutzen, die er oder sie gerade entwirft.

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So, das ist Ostrohan: Viel weiter freier Raum für den berittenen Kampf. Heldenhafte Krieger streiten in hoffnungsloser Schlacht gegen Feinde von allen Seiten (nicht nur Isengart - Mordor und die Ostlinge bedrängen die Pferdeherren schon viel länger). Dörfer und Festungen gingen in Flammen auf, gute Menschen wurden vertrieben, deren Vertrauen in ihren kränkelnden König nunmehr gebrochen ist. Und es besteht ein verzweifeltes Verlangen nach Helden, selbst unter denen, die das Vertrauen der Pferdeherren bisher nicht hatten - oder von denen sie nie zuvor gehört haben.

Und jetzt, da das Design-Team den Osten weiter verfeinert und aufpoliert, ist es Zeit für mich, über den Entwasser-Fluss hinüberzuschauen. West-Emnet und der Fangorn-Wald werden sich nicht von selbst entwickeln.